Hallo, Ihr Lieben!

Ich gebe es zu: Am Messesonntag ist bei mir schon ziemlich die Luft raus. Die letzten Tage waren toll, aber auch anstrengend. Es wird schön sein, zu Hause das eigene Kopfkissen zu knutschen – auch wenn das einen vorläufigen Abschied von vielen lieben Menschen bedeutet.

Jana und ich machen morgens in der Wohnung klar Schiff, dann prüfe ich den Schokoladenpegel in meiner Tasche. Schokolade ist das ultimative Heilmittel. Sie macht alles erträglicher. Könnte sein, dass ich sie heute brauchen werde.

Training

Die anderen Fahrgäste in der Tram halten mich heute wahrscheinlich für einen Fisch. Ich sitze nämlich auf meinem Platz, gebe keinen Ton von mir, aber bewege unentwegt meine Lippen.

Ich bin nicht geisteskrank, sondern Autorin.

Ich trainiere. Ich übe meinen Pitch.

Klugscheißer-Einschub Anfang
Was ist ein Pitch?
Stellt Euch vor, Ihr steigt im Erdgeschoss eines Gebäudes in einen Aufzug. Nur ein einziger Fahrgast befindet sich noch dort. Ein Lektor. Das ist Eure Chance! Solange er sich mit Euch im Fahrstuhl befindet, kann er nicht weglaufen.

Jetzt müsst Ihr es schaffen,

  1. auf den Punkt zu bringen, worum es in Eurer Geschichte geht
  2. dem Lektor den Mund wässrig zu machen, damit er Euer Manuskript haben will
  3. und das alles in drei Sätzen, denn spätestens im vierten Stock verlässt der Lektor den Fahrstuhl.

Das nennt man einen Pitch. Manche nennen ihn wegen des Fahrstuhl-Beispiels auch „Elevator-Pitch“. Ich finde „Haare-vor-Verzweiflung-ausrupf-Pitch“ wäre auch ein wunderschöner Name. Nichts zankt einen Autor mehr, als wenn er einen Pitch oder ein Exposé zaubern muss. Möchte man aber in einem Verlag veröffentlichen, kommt man nicht drum herum.

Was ein Pitch enthalten sollte: Den Protagonisten, sein Ziel und was dem im Wege steht.
Klugscheißer-Einschub Ende

Wozu brauche ich heute einen Pitch? Tjaaa … Der Bundesverband junger Autoren und Autorinnen e. V. (kurz: BVjA) veranstaltet heute ein Speeddating. Da mache ich mit und dafür muss ich mein Projekt auf den Punkt bringen können.

Das Speeddating auf der Leipziger Buchmesse

Das Speeddating findet im CongressCenter Leipzig auf dem Messegelände statt. Stellt Euch einen großen Raum mit mehreren Tischen vor. An jedem Tisch sitzt ein Verlagsvertreter. Als Autor setzt man sich zu diesem Verlagsvertreter und hat neun Minuten Zeit, ihn von seinem Projekt zu überzeugen. Ist die Zeit abgelaufen – ding-ding-ding-ding! – ertönt die Glocke. Dann muss man aufstehen und den Tisch verlassen.

Ein wichtiger Unterschied zum gewöhnlichen Speeddating: Die Autoren wechseln nicht alle Tische durch. Ein Kinderbuch pitcht man schließlich nicht bei einem Krimi-Verlag. Jeder Autor darf höchstens drei passende Verlage daten. Auf die Termine dafür muss man sich einige Wochen vorher mit einem Exposé und einem Haare-vor-Verzweiflung-ausrupf-Pitch bewerben.

Chancen auf einen Termin hat man wenn das Projekt

  • eine gewisse Qualität aufweist und
  • ins Programm des Verlags passt, bei dem man es pitchen möchte.

Auf dem Weg zum Stand

Da das Speeddating erst um 11 Uhr beginnt, schaue ich erst noch beim Autorenwelt-Stand vorbei. Hier ist heute nicht viel zu tun. Am Messesonntag ist es ruhiger. Ich mache also wieder meine Fisch-Übungen.

Meinem Orientierungssinn traue ich nicht, also mache ich mich schon eine halbe Stunde vor meinem Termin auf den Weg. Die Kollegen wünschen mir Glück. Na ja … Wenn ich’s vergeige, dann hab ich immer noch die Frust-Schokolade in meiner Tasche.

Vor dem Raum, in dem das Speeddating stattfinden soll, treffe ich auf meine Freunde Tho und Yvi. Die beiden führen eine eigene Produktionsfirma: Die Pathfinder-Studios. Yvi ist auch Autorin. Sie nimmt gleich mit zwei Projekten am Speeddating teil. Ich dagegen habe mich nur auf einen Termin beworben. Da waren zwar noch andere Verlage, zu denen mein Projekt gepasst hätte, aber so richtig verliebt habe ich mich nur in einen.

Das Manuskript in der Zentrifuge

Um es kurz zu machen: Beim Speeddating habe ich zwei Dinge getan:

  • dafür plädiert, dass die Verlagsmenschen Wasser bekommen (immerhin müssen die 90 Minuten lang reden, reden, reden)
  • mein Manuskript gepitcht.

Eines dieser Dinge war von Erfolg gekrönt. Mein Pitch war’s jedenfalls nicht.

Zurück am Stand der Autorenwelt.

„Und? Wie lief das Speeddating?“

Wortlos halte ich meinen Schokoladenriegel in die Höhe.

„So schlimm?“
„Nee, nicht schlimm, aber die bringen mein Kinderbuch nur raus, wenn ich das zu einem Bilderbuch eindampfe.“

Ich weiß, dass man auch mal Kompromisse eingehen muss, wenn man mit Verlagen zusammenarbeitet. Aber meine schöne Geschichte in der Zentrifuge zu schleudern, bis nur noch ein Prozentsatz des Plots übrig ist? Beim Gedanken daran fließt der Rhein stromaufwärts.

Ich nasche noch einen Schokoriegel. Und noch einen. Keine Ahnung, wie viele ich vertilge, aber am Ende ist die Packung leer.

Der restliche Tag zieht recht ereignislos vorbei. Dann heißt es auch schon Abschied nehmen. Bäh. Da das Autorenwelt-Team aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands kommt, wird’s eine Zeit lang dauern, bis wir uns alle wiedersehen.

Der Gedanke macht mich traurig. Ich schau mal, ob ich noch Schokolade im Haus hab.

Liebe Grüße
Eure Jasmin